Aus unseren Erfahrungen in der Arbeit mit Mädchenklassen ergibt sich schwerpunktmäßig folgendes Bild problematischer adoleszenter Schülerinnen:
Die Mädchen haben oft über einen sehr langen Zeitraum (sechs Monate bis zu anderthalb Jahren) keine Schule mehr aufgesucht. Sie sind überaltert und frühreif. Häufig sind sie traumatisiert, zeigen Bindungsstörungen; viele haben zudem Psychiatrieaufenthalte hinter sich. Wir begegnen Drogenabusus, Essstörungen und vielfältigen psychosomatischen Erkrankungen.
Die Schülerinnen lassen sich nicht in gemischtgeschlechtliche Klassen integrieren.

Wir bieten den Mädchen einen Wiedereinstieg in die Schule mit besonderer Gewichtung der Beziehungsgestaltung und der Möglichkeit, stabilere Bindungen einzugehen.
Darauf aufbauend folgt eine zunehmend realitätsgerechte Anbahnung von Lernen, Leisten und Arbeiten sowie der Berufsorientierung.

Schülerinnen mit der eingangs beschriebenen Problemlage benötigen einen Raum, der den spezifischen Bedürfnissen adoleszenter Mädchen entgegenkommt.  
Mädchen erleben und erproben sich selbst vorwiegend in sozialen Kontakten und emotionalen Beziehungen. Mädchenarbeit an unserer Schulform muss so strukturiert sein, dass die Schülerinnen hier Beziehungen und Sozialkontakte als hilfreich für ihre Entwicklung erleben und nutzen können.

Sie benötigen die Möglichkeit

  • ihr Selbstwertgefühl zu entwickeln,
  • ihre „ver-rückten“ Wahrnehmungen zu integrieren,
  • ihr Körpererleben (Drogenabusus, Essstörungen, Krankheiten, Sexualität) zu thematisieren und so nach Möglichkeit zu ändern.

Als besonders wichtig erweist sich hier die Beziehung zur Klassenlehrerin. Sie kann  hilfreich zur weiblichen Identifikation sein (bei der Berufsorientierung auch als berufstätige Frau, ein Modell, das die Mädchen von ihren Müttern oft noch nicht kennen).
Sie ist „Nicht-Mutter“ – aber mütterlich – und kann so Bindungserfahrungen ermöglichen, aber auch die notwendigen Autonomieprozesse anbahnen, die mit den Müttern so oft noch nicht gelingen.

 
In der Gruppe der Mitschülerinnen können die Mädchen folgende spezifische Erfahrungen machen:

  • Sie können ihre z.T. traumatischen Erfahrungen ansprechen.S
  • Sie erleben, dass andere die gleichen Erfahrungen machen, d.h. sie sind nicht alleine.
  • Sie können sich an Schülerinnen orientieren, die schwierige Lebensphasen bereits bewältigt haben.

Nach unseren bisherigen Erfahrungen wird deutlich, dass es bei der Arbeit mit Mädchen auch bedeutsam ist, deren „erweitertes familiäres Umfeld“ einzubeziehen und in der Schule zu pflegen.
Dazu gehört neben den üblichen Kontakten zu Eltern und Mitarbeitern der Jugendhilfe auch die Bekanntschaft mit Freunden, die von Mädchen offensichtlich in besonderem Maße in die Schule einbezogen werden.

Mit Pfiff gegen Schulmüdigkeit
Mädchenprojekt Zukunft

Null Bock auf Schule?
Das ist selten der Grund für Schulverweigerung. Schulschwierigkeiten sind weit öfter Symptome für andere Probleme, wie familiäre Krisen, Versagensängste oder soziale Benachteiligungen. Sie sollten als Hilferuf ernst genommen werden. Erste Anzeichen können aktives Stören im Unterricht sein, aber auch geistige Abwesenheit und Verschlossenheit.

Individuelle Lösungen
Gründe für Schulverweigerung sind vielfältig. Hilfen für schulmüde Mädchen müssen individuell zugeschnitten sein. Das Mädchenprojekt Zukunft im Handwerkerinnenhaus Köln (HWH) bietet ihnen einen geschützten Rahmen, in dem sie Vertrauen in die eigenen Stärken fassen können. Der Projektteil Pfiffigunde beugt Schulverweigerung vor. Der Projektteil Kneifzange richtet sich an Mädchen, die schon nicht mehr zum Unterricht gehen.

Pfiffigunde beugt vor
Mit seinem werkstattpädagogischen Konzept geht das HWH neue Wege, um Schulverweigerung vorzubeugen: Die praktische Arbeit stärkt das Selbstwertgefühl und fördert Konzentration, Ausdauer und soziale Kompetenzen. Die Kurse für Mädchen von Klasse 6 bis 10 finden einmal wöchentlich vormittags oder nachmittags ein Schuljahr lang ergänzend zum Schulunterricht in enger Kooperation mit den beteiligten Schulen statt. Möglich sind fortlaufende Kurse über ein oder mehrere Halbjahre – beispielsweise als „Wahlpflichtfach"- und Schnupperkurse.

Lehrstoff begreifen
Schulstoff wirkt oft lebensfremd. Beim Bau einer Lampe werden Rechnen, Geometrie und Physik praktisch erfahrbar. Daneben sind Fingerfertigkeit, Kreativität und geschicktes Handhaben von Werkzeug gefragt. Am Ende können die Mädchen ihre selbst erstellten Werkstücke mit nach Hause nehmen und stolz auf ihre Leistung sein! So weckt das handwerkliche Arbeiten Lust am Lernen.

Kneifzange fängt auf
Wenn Mädchen unregelmäßig oder gar nicht mehr zur Schule gehen, hilft ihnen die Kneifzange wieder Fuß zu fassen. In einer Kleingruppe von maximal 8 Mädchen im 9. oder 10. Schulbesuchsjahr werden die Teilnehmerinnen intensiv und individuell gefördert. Die Werkstattarbeit unter Anleitung einer Tischlerin und der tägliche Unterricht mit einer Sonderschullehrerin im HWH trainieren Regelmäßigkeit und Durchhaltevermögen. Eine Sozialpädagogin begleitet und fördert die Mädchen in ihrer persönlichen Entwicklung

Neustart in die Zukunft
Die handwerkliche Arbeit bestärkt die Mädchen in ihren Fähigkeiten. Mit Unterstützung durch das Team der Kneifzange erarbeiten sie sich realistische Zukunftsperspektiven. Einige machen im Projekt den Hauptschulabschluss. Und manche entscheiden sich für einen handwerklichen Beruf.
 
Bericht über die Zusammenarbeit der Schule für Erziehungshilfe Auguststraße und dem Handwerkerinnenhaus im Rahmen der Prävention von Schulmüdigkeit
aus dem Jahr 2005

Der Beginn:
Unter dem Leitgedanken ‚Stärken stärken’ und in Folge der schon bestehenden Kooperation zwischen der Schule für Erziehungshilfe Auguststraße und dem Handwerkerinnenhaus (Kneifzange) begann im August 2001 die Zusammenarbeit beider Institutionen.
Ein wesentliches Anliegen dieser Zusammenarbeit bestand darin, die Mädchenarbeit zu akzentuieren, da gerade in der Schule für Erziehungshilfe Mädchen in der Minderheit sind.
Schülerbetriebspraktika und Berufswahlwünsche im Rahmen von Mädchenförderung auch an der Schule für Erziehungshilfe zeigen, dass Mädchen sich trotz eines Spektrums von ca. 400 Ausbildungsberufen meist für klassische Frauenberufe (Helferinnenberufe, Verkäuferin, Friseurin) entscheiden.   
Um dem entgegenzuwirken sollte der Versuch unternommen werden, im Rahmen des Kennenlernens von eher typisch männlichen Berufsfeldern (Tischler, Glaser, Schlosser, Elektroinstallateur) die Berufswahl von Mädchen zu erweitern. Das Kennenlernen dieser Berufe sollte darüber hinaus zu einer kritischen Reflexion der Geschlechterrollen führen.

Die Ziele:
Übergreifende Zielsetzungen der Arbeit von Handwerkerinnenhaus (Pfiffigunde) und der Schule Auguststraße  sind:

  • Entdecken von Fähigkeiten und Kompetenzen
  • Entwicklung von Stärken
  • Vermittlung von Erfolgserlebnissen durch handwerkliches Tun und selbst hergestellte Werkstücke
  • Ermutigung zum Ausprobieren von Neuem und sich Einlassen auf handwerkliche Tätigkeiten
  • Einübung von sachgerechtem Umgang mit Werkzeug und Maschinen
  • Entwicklung von Kreativität

 

Der Verlauf:
Im Schuljahr 2001/02 nahmen drei Schülerinnen der Klasse 7/8 sowie die Klassenlehrerin
kontinuierlich am Kursangebot teil.
Im 1. Halbjahr 2002/03 erweiterte sich diese Gruppe um zwei Schülerinnen der nachfolgenden Klasse 7/8  und im 2.Halbjahr 2002/03 folgte die dritte Schülerin dieser Klasse.
Im Schuljahr 2003/04 erweiterte sich die Teilnahme am Projekt; sechs Schülerinnen mit unterschiedlichstem Förderbedarf  im Alter von 15 bis 16 Jahren aus den Klassen 7/8/9 der Schule  Auguststraße nahmen am Kurs teil.


Im Schuljahr 2004/05 wurde an unserer Schule eine zweite Mädchenklasse eingerichtet und die Klassenlehrerin nahm mit allen Schülerinnen am Projekt teil.
Diese Arbeit wird seitdem kontinuierlich fortgeführt.
Schon im ersten Jahr der Zusammenarbeit zeigte sich, dass die Neugier auf das fremde Berufsfeld geweckt werden konnte. Die handwerkliche Arbeit bestärkt die Mädchen in ihren Fähigkeiten und stärkt das Selbstwertgefühl.
Eine Schülerin, die nach fast einem Jahr Schulabstinenz erst seit vier Monaten die Schule für Erziehungshilfe besuchte, wählte für das anstehende erste Schülerbetriebspraktikum die Holzwerkstatt des Handwerkerinnenhauses. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, da sie noch verstärkt der Sicherheit der vertrauten Umgebung bedurfte. Im Rahmen des dreiwöchigen Praktikums zeigte sich, dass sie schon in der Lage war, selbstständig Hilfestellung bei den Kursen der anderen Schulen zu geben, was sehr zur Stärkung des Zutrauens in ihre eigene Leistung und zur Erweiterung ihrer Sozialkompetenz beitrug.


Nachdem sich für sie die Möglichkeit ergeben hatte, im Rahmen der weiteren Schülerbetriebspraktika in einer Tischlerei ein Praktikum zu absolvieren, wurde ihr seitens des Betriebes eine grundsätzliche Eignung für diesen Ausbildungsbereich bestätigt.

Bei allen an der Maßnahme beteiligten Mädchen zeigten sich im Laufe der Zeit folgende Veränderungen:

  • Verändertes Selbstbild
  • Verbesserte Eigen- und Fremdwahrnehmung
  • Verändertes Selbstwertgefühl
  • Stärkung des Selbstbewusstseins
  • Zutrauen in die eigene Leistung über Erfolgserlebnisse durch handwerkliches Arbeiten
  • Erweiterte Sozialkompetenz durch gegenseitiges Helfen, voneinander Lernen und  Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Befindlichkeiten anderer

Auch die Möglichkeit des Rückzugs in einer reinen Mädchengruppe bringt für die Schülerinnen wertvolle Erfahrungen mit sich:
Die Schülerinnen erhalten den Rahmen, vertrauensvoll ihre Probleme und Ängste anzusprechen, schulische und berufliche Perspektiven zu entwickeln sowie ihre Lebensplanung zu überdenken.
Durch das Entdecken ihrer Fähigkeiten im handwerklichen Bereich erleben die Schülerinnen sich neu. Nicht mehr die Feststellung eines Handicaps steht im Vordergrund, sondern die Entwicklung und Stärkung der besonderen Fähigkeiten einer jeden Schülerin.